Amnesty International fordert Iran auf, alle inhaftierten Demonstranten freizulassen

Die Antwort des iranischen Regimes auf die weithin friedlichen Demonstrationen, die sich in der vorigen Woche über den Iran verbreiteten, bestand massenhafter Verhaftung.

In einem Brief vom 8. August fordert Amnesty International die iranischen Behörden auf, jede Person freizulassen, die einzig wegen friedlicher Teilnahme an den Demonstrationen verhaftet wurde. Außerdem fordert Amnesty International die Behörden zu einer unverzüglichen, unparteiischen, unabhängigen Ermittlung des Mordes an einem Demonstranten, geschehen am 3. August 2018 in Karaj, nordwestlich von der Hauptstadt Teheran, auf.

Amnesty ermahnt die Behörden ferner, alle Verhafteten vor der Folter und sonstiger Misshandlung zu schützen sowie das Ergehen und den Aufenthaltsort jener Verhafteten bekanntzugeben, von denen man seit ihrer Verhaftung nichts gehört hat.

Unter den Verhafteten befindet sich der für die Menschenrechte engagierte N. Afshari. Er wurde am 1. August 2018 in der Stadt Karaj, nordwestlich von Teheran, von Geheimagenten verhaftet. Wo er sich aufhält, ist nicht bekannt. Es wird angenommen, dass er sich in einer geheimen Haftanstalt befindet.

Die hohe Inflationsrate und die krasse Entwertung des Rial haben die wirtschaftliche Krise im Iran verschärft und zu den Protesten geführt, die am 31. Juli begannen. Doch dutzende Videos, die auf den sozialen Netzwerken geteilt wurden, zeigen auch jene Demonstranten, deren Slogans gegen das politische Establishment gerichtet waren – insbesondere den Höchsten Führer des Iran.

Im Ganzen scheinen die Demonstrationen friedlich verlaufen zu sein; doch einige Demonstranten kamen zu gewalttätigem Handeln wie Steinewerfen, Brandlegen, Beschädigung von Autos und Gebäuden.

Am 3. August 2018 berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Tasnim, in dem Bezirk von Eshtehard in der Provinz Alborz habe eine Gruppe eine religiöse Schule angegriffen. Sie warfen Steine und Ziegel durch die Fenster.

In den sozialen Netzwerken zeigen Berichte und Videos die Anwendung unnötiger und maßloser Gewalttätigkeit durch die Sicherheitskräfte – zur Zerstreuung der Demonstrationen. Nach Berichten von Journalisten und für die Menschenrechte Engagierten im Iran sowie unabhängigen Nachrichten-Fachleuten außerhalb des Landes halten die Sicherheitskräfte dutzende von Personen in Gefängnissen und geheimen Haftanstalten fest. Der Menschenrechtsanwalt Abdolfattah Soltani berichtete, er glaube, seit Beginn der Proteste seien 50 – 60 in Teheran verhaftete Demonstranten ins Evin-Gefängnis eingeliefert worden.

Nach Berichten der sozialen Medien wurden fünf Demonstrantinnen in das Shahr-e Rey-Gefängnis in Varamin, außerhalb von Teheran, gebracht. In diesem Gefängnis, das auch als „Gharchak“ bekannt ist, befinden sich hunderte Frauen, denen gewaltsame Strafhandlungen vorgeworfen werden, im Zustand der Überfüllung und in unhygienischen Verhältnissen, angeblich ohne sicheren Zugang zum Trinkwasser, anständiger Nahrung, Medikamenten und frischer Luft.

Nach den Berichten wurden die männlichen Demonstranten nach ihrer Verhaftung in das Fashafouyeh-Gefängnis im Süden von Teheran gebracht.

Amnesty International wird durch Berichte beunruhigt, die besagen, daß die Verhafteten, die ins Evin-Gefängnis, ins Shahr-e Rey-Gefängnis und ins Fashafouyeh-Gefängnis eingeliefert wurden, nur sehr wenig, wenn nicht gar keinen Zugang zu ihren Angehörigen und zu Anwälten haben. Amnesty International bangt um das Wohlergehen von Nader Afshari und anderen Verhafteten.

Während der gewaltsam zerstreuten Proteste sollen dutzende Personen verletzt worden sein. Videos von den Demonstrationen, die auf den sozialen Netzwerken geteilt wurden, zeigen, wie die Menge davonläuft vor Geräuschen, die wie Gewehrschüsse klingen. Auf einem Video hört man die Stimme eines Mannes, der in der Stadt Shiraz eine Demonstration aufnimmt, sagen: „Agenten in Zivil schlagen die Leute.“

Reza Outadi, ein 26 Jahre alter Demonstrant, wurde am 3. August in Karaj, nordwestlich von Teheran, getötet. Der Staatsanwalt von Karaj gab bekannt, er sei „durch Gewehrfeuer, das inmitten des Aufruhrs von Demonstranten kam, getötet“ worden. Er sagte, Reza Outadi sei „in den Rücken geschossen worden, wodurch er getötet wurde“. Ferner behauptete er, in der Provinz Alborz sei eine Reihe von Polizeibeamten durch Schüsse, Messerstiche und Steinwürfe verletzt worden.

Am 7. August berichtete die Nachrichtenagentur „Fars“, der Staatsanwalt von Karaj habe bekanntgegeben, dass eine Spezialeinheit zur Untersuchung des Todes von Reza Outadi eingesetzt worden sei.

Anfänglich sagten die Behörden seiner Familie, sie betrachteten Outadi als „Aufrührer“ (shooreshi) und würden daher ihr seinen Leichnam nicht freigeben. Doch dann haben sie den Leichnam freigegeben; seine Familie konnte ihn am 6. August, umstellt von massiver Präsenz der Sicherheitskräfte, bestatten.

Amnesty International fürchtet, dass die Spezialeinheit, die zur Untersuchung des Todes von Reza Outadi eingesetzt wurde, den durch das Völkerrecht vorgesehenen Erfordernissen der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit nicht genügt. Amnesty fordert die iranischen Behörden auf, sicherzustellen, dass die Ermittlung des Todes von Reza Outadi unparteilich und unabhängig vonstatten geht und dass jeder, der mit Grund verdächtigt wird, zu fairen Verfahren und unter Vermeidung von Todesurteilen vor Gericht gestellt wird.