Rechtsanwälte im Iran zunehmend Opfer von Verfolgung und willkürlicher Haft
ZEIT ONLINE: „Immer mehr Iraner lehnen sich gegen das System auf, nicht nur gegen das Zwangskopftuch, auch gegen die Inkompetenz der politischen Führung, die flächendeckende Korruption und die überwältigende Arbeitslosigkeit. Um die chronischen Proteste in den Griff zu bekommen, knöpfen sich Justiz, Polizei und Staatssicherheit jetzt immer massiver die kleine Schar von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten vor, die Menschen in ihrem Aufbegehren gegen den Gottesstaat juristisch beistehen.“
Die namhafte iranische Rechtsanwältin Nasrin Sotoudeh (Bild) ist seit dem 13. Juni im Teheraner Evin-Gefängnis inhaftiert. Berichten zufolge wurde sie u.a. wegen ihrer Mitarbeit in einer iranischen Vereinigung für die Abschaffung der Todesstrafe angeklagt. Die Inhaftierung von Nasrin Sotoudeh ist Teil einer verschärften Verfolgungskampagne des Regimes gegen menschenrechtlich engagierte Rechtsanwälte im Iran.
Ein Artikel in ZEIT ONLINE vom 25. August 2018 befasst sich mit der Verfolgung von Rechtsanwälten im Iran. Darin heißt es u.a.:
Iran: Im Gefängnis, weil sie andere verteidigen
Das iranische Regime knöpft sich Anwälte vor, die Frauenrechtlerinnen, Kritikern oder Demonstranten helfen. Nasrin Sotoudeh ist nicht die einzige, die nun in Haft sitzt.
Im Februar hatte sie noch Demonstrantinnen vor Gericht verteidigt, jetzt sitzt Nasrin Sotoudeh selbst im Gefängnis. Zivilpolizisten drangen in die Teheraner Wohnung der prominenten Anwältin ein und führten die 55-Jährige ab. Sotoudeh sei von einem Revolutionsgericht in Abwesenheit zu fünf Jahren Haft verurteilt worden, hinterließen die Beamten ihrer Familie als Begründung. Bis zu diesem Orwell’schen Auftritt von Irans Staatsmacht hatten weder die Juristin noch ihr Mann Reza Khandan, der das Ganze auf Facebook postete, irgendeine Ahnung von diesem Prozess, in dem sie angeblich der Spionage überführt wurde. Vor wenigen Tagen erschienen erneut drei bewaffnete Geheimdienstler vor der Haustür der Verhafteten. Sie stellten alles auf den Kopf und nahmen als „Beweise“ schließlich ein paar Haarklammern mit, bedruckt mit dem Slogan „Ich bin gegen den Zwangsschleier“.
Frauenrechtlerinnen, Regimekritiker und Demonstranten zu verteidigen, gehört mittlerweile zu den riskantesten Tätigkeiten in der Islamischen Republik. Denn immer mehr Iraner lehnen sich gegen das System auf, nicht nur gegen das Zwangskopftuch, auch gegen die Inkompetenz der politischen Führung, die flächendeckende Korruption und die überwältigende Arbeitslosigkeit. Um die chronischen Proteste in den Griff zu bekommen, knöpfen sich Justiz, Polizei und Staatssicherheit jetzt immer massiver die kleine Schar von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten vor, die Menschen in ihrem Aufbegehren gegen den Gottesstaat juristisch beistehen. Mehr als ein Dutzend von ihnen sitzt mittlerweile im Gefängnis, wird mit Gerichtsverfahren bedroht und darf keine neuen Mandanten annehmen. Am meisten stört die Hardliner das Zentrum zum Schutz der Menschenrechte (DHRC), das 2006 von der Nobelpreisträgerin Shirin Ebadi mitbegründet wurde und zu dem auch Nasrin Sotoudeh gehört.
Die Menschenrechtsanwältin, in deren kargem Teheraner Büro ein Poster von Nelson Mandela hängt, kennt die iranische Gefängniswelt bereits. 2011 wurde sie zum ersten Mal zu elf Jahren Haft verurteilt, weil sie Demonstranten der Grünen Bewegung verteidigte. 2012 verlieh ihr das Europäische Parlament den Sacharow-Preis, 2013 kam sie frei. 60 Abgeordnete protestierten vergangene Woche in einem offenen Brief an Präsident Hassan Rohani gegen das erneute willkürliche Vorgehen gegen sie.
In der Einzelzelle müssen sie auf dem Boden schlafen
Nasrin Sotoudeh ist in der Abteilung 209 für politische Häftlinge des berüchtigten Evin-Gefängnisses eingekerkert, die dem Geheimdienstministerium untersteht. Die Einzelzellen sind winzig klein, es gibt weder Betten noch Matratzen. Die Gefangenen bekommen zwei Laken und müssen auf dem Steinboden schlafen. Zur Toilette am Ende des Zellengangs werden sie mit verbundenen Augen eskortiert, ein Raum, der nach Angaben früherer Häftlinge gepflastert ist mit Plakaten von Ajatollah Chomeini und seinem Nachfolger Ali Chamenei.
Ihr Anwaltskollege Mohammad Najafi sitzt bereits seit Januar im Gefängnis. Ihm wirft die Justiz vor, die Öffentlichkeit über den gewaltsamen Tod eines 22-jährigen Demonstranten auf der Polizeiwache informiert zu haben, der nach offizieller Darstellung Selbstmord begangen haben soll.
Der bekannte Jurist Abdolfattah Soltani, langjähriger Mitstreiter von Shirin Ebadi und Träger des Internationalen Nürnberger Menschenrechtspreises, hat bereits sieben Jahre Gefängnis hinter sich. Soltani traf kürzlich ein weiterer Schicksalsschlag, als seine 27-jährige Tochter Homa an Herzversagen starb. Die staatlichen Peiniger gestatteten dem Vater, an der Beerdigung teilzunehmen. Auf Videobildern der Trauergemeinde ist ein gebrochener und ausgemergelter Mann zu sehen, der noch sechs Jahre Einzelzelle vor sich hat.
„Verbreitung von Propaganda gegen das System“
Sein Berufskollege Hadi Esmaeilzadeh, der 2014 zu vier Jahren Haft verurteilt wurde, starb 2016 in seiner Zelle an einem Herzinfarkt. „Ich werde diesen großartigen Menschen niemals vergessen, er hat uns immer standhaft verteidigt, egal wie sehr ihn das Gericht zu demütigen versuchte“, erinnerte sich einer seiner Mandanten.
Narges Mohammadi, Vizedirektorin des DHRC-Menschenrechtszentrums, wurde 2016 wegen „Gründung einer verbotenen Gruppierung“ und „Verbreitung von Propaganda gegen das System“ zu 16 Jahren Gefängnis verurteilt. Sie ist in der Haft schwer erkrankt. Ihre elfjährigen Zwillinge leben jetzt im Exil in Frankreich bei ihrem Vater Taghi Rahmani, einem politischen Aktivisten, der 14 Jahre in iranischen Gefängnissen saß. Die Behörden verweigern der 46-jährigen Mutter praktisch jeden Telefonkontakt zu ihren Kindern.
Und so spricht die kürzlich verhaftete Nasrin Sotoudeh wohl im Namen aller eingesperrten Mitstreiter, wenn sie in einem früheren Brief an ihren Mann über den Sinn ihres lebenslangen Kampfes für die Menschenrechte reflektiert. Jeder grübele natürlich über seine Freiheit, wenn er im Gefängnis sitze, schreibt sie. „Obwohl mir meine Freiheit wichtig ist, wichtiger ist die Tatsache, dass die Gerechtigkeit mit Füßen getreten und verweigert wird.“ Nichts sei daher von größerer Bedeutung als diese vielen Hunderten Haftjahre, „die meinen Mandanten und anderen freiheitsliebenden Menschen aufgebürdet wurden – angeklagt für Verbrechen, die sie niemals begangen haben“.