Seit 9 Jahren getrennt: eine Mutter gratuliert ihrer Tochter zum Geburtstag aus dem Evin Gefängnis

Iran:

Die politische Gefangene im Evin Gefängnis  Maryam Akbari Monfared gratulierte ihrer Tochter zum 13. Geburtstag und schrieb hinter Gittern einen Brief, wo sie die letzten neun Jahre verbrachte während jedem Geburtstag ihrer Tochter.

Zusammen mit den anderen Gefangenen aus Gewissensgründen Golrokh Ebrahimi Irai und Atena Daemi wurde Monfared vor kurzem von der Direktorin des Frauentrakts im Evin Gefängnis mit einem dreiwöchigen Verbot von Besuchen von Angehörigen bestraft. Allen dreien wurde mitgeteilt, sie seien zur Ordnung gerufen worden für ihre Proteste gegen die unrechtmäßigen Versuche der Behörden im September, sie zu vernehmen.

 

Hier der volle Wortlaut des Briefes von Monfared an ihre Tochter auf Deutsch:

 

Mitten in einer kalten regnerischen Dezembernacht haben sie Dich aus meinen Armen gerissen. Du warst erst dreieinhalb Jahre alt und Du hast Deine Arme um meinen Hals geschlossen. Du warst in einem tiefen engelhaften Schlaf.

Seither sind neun Jahre vergangen. In all diesen Jahren habe ich Deinen Geburtstag im Besucherraum gefeiert. Alle meine Zellengenossen und –genossinnen haben an meiner Freude teilgenommen. In jedem Jahr habe ich Deinen Geburtstag an den Tagen zuvor vorbereitet. So gut ich konnte, habe ich von der anderen Seite des Fensters des Besucherraums geschaut, wie groß Du geworden warst.

Du fingst an, in die Schule zu gehen, während ich im Gefängnis war. Danach warst Du kein kleines Mädchen mehr. Und jetzt wirst Du in diesem Jahr 13. Vor einer Woche haben wir am Telefon über Deine Wünsche gesprochen: Du hast gefragt, ob Du mich in der kommenden Wochen besuchen kommen kannst, an Deinem Geburtstag. „Aber natürlich kannst Du das!“ Wie wenig wusste ich, dass unsere seltenen Freuden von anderer Seite mit Argwohn beobachtet wurden.

Bevor Du am Mittwoch angekommen bist, hat mir die Direktorin des Trakts Frau Abdolhamidi mitgeteilt, dass es mir drei Wochen lang verboten sei, Besuch zu bekommen. Als Du kamst, bist Du in meine Arme gesprungen und hast zu mir gesagt: „Mama, in der nächsten Woche ist mein Geburtstag. Ich werde Dich besuchen kommen und wir beide werden zusammen sein, nur Du und ich“.

Es ging über meine Kräfte, Dir zu antworten, dass unsere Besuchszeit in der nächsten Woche wegfällt. Mein Herz brannte vor Zorn und Abscheu gegen [die Behörden], die mir sogar das Lächeln auf Deinem Gesicht raubten. Die Flammen des Zorns brennen immer noch in mir“.

Morgen ist Dein Geburtstag, ich habe jeden Tag mit meinen Freunden darüber gesprochen. Ich habe meine Augen geschlossen und mich zurückversetzt in das Iran Krankenhaus am 8. Oktober 2005.

Es ist 6 Uhr morgens und ich sitze im Aufenthaltsraum des Krankenhauses. Es ist 10 Tage über die Zeit, aber wenn ich heute daran zurückdenke, so scheint es mir so, als ob Du Deine Ankunft in dieser Welt hinhältst, als ob Du vorausgesehen hast, dass Du von den Stürmen des Lebens heimgesucht würdest. Aber zuletzt bist Du zur Welt gekommen und Deine ersten Schreie um 12 Uhr nachts brachten ein Lächeln auf mein Gesicht. Ich spüre immer noch Dein schönes Gesicht und Dein erstes Schreien und habe das süße Gefühl, Dich zum ersten Mal in meine Arme zu nehmen.

Ich öffnete meine Augen und da warst Du, eine schöne Puppe in einer pistaziengrünen Decke mit Schneeflocken darauf. Das Vergnügen, Dich an der Brust zu nähren, die Freude, als Du zum ersten Mal Deine Augen aufgemacht hast; die ersten Schritte, die Du in ein schönes Leben und in die Zukunft gemacht hast und die Musik Deines ersten Wortes.

Liebe Nazanin: Ich bin an Deinem 13. Geburtstag nicht mit Dir zusammen gewesen. Ich weiß, dass Du jetzt verstehst, warum wir voneinander getrennt sind. Ich weiß, dass Du in diesen vergangenen neun Jahren viel gelitten hast. Aber wir haben einander versprochen, zu lächeln, bis das Lächeln die Gesichter aller Kinder im Iran erhellt. Wie haben einander versprochen, uns an unseren kurzen Besuchszeiten zu freuen, trotz all der Male, da wir das Zusammensein vermissen. Wir haben einander geschworen, das Monster zu besiegen.

Liebe Sara, Deine Zukunft ist hell. Ich hoffe auf den Tagesanbruch, an dem die ersten Strahlen des Morgens Freiheit sein werden, wenn ich Dein Haar zausen werde und Dich ohne Schmerz umarmen werde und ohne die Pein, zu wissen, dass unsere Besuchszeit im nächsten Augenblick zu Ende sein kann. Lass uns lachen bis zum Tagesanbruch […]

Maryam Akbari Monfared

  1. Oktober 2018

Frauentrakt des Evin Gefängnisses.

 

Maryam Akbari Monfared wurde im Dezember 2009 bei Protesten nach den strittigen Wahlergebnissen in dem Jahr verhaftet. Im Juni 2010  verurteilte Richter Salavati vom Zweig 15 des Revolutionsgerichts sie zu 15 Jahren Gefängnis wegen „moharebeh“ (Feindschaft gegen Gott), weil angenommen wurde, sie sei Mitglied der Volksmudschahedin des Iran (MEK). Monfared hat diese Anklage zurückgewiesen.

Zwei der Brüder Monfareds wurden 1981 und 1984 hingerichtet wegen der Mitgliedschaft in den MEK, nachdem ihnen in den Revolutionsgerichten der Prozess gemacht worden war. Ein jüngerer Bruder und eine Schwester wurden 1988 ebenfalls hingerichtet im Zuge der Massenhinrichtungen politischer Gefangener.